Den „Gas-See” in Balance halten – ein Blick hinter die Kulissen

Warum wurde das Gasmarktmodell in Österreich angepasst? Welche Änderungen bringt das mit sich? Und wie verlief die Umsetzung? Darüber haben wir mit GCA Expertin für Market Model Design, Maria Schwarz gesprochen.



„Ich denke, dass das Optimum an Synergien aus der zur Verfügung stehenden Infrastruktur im Zuge dieser Umstellung nur dann rausgeholt werden kann, je enger und besser diese Kooperation funktioniert."

Am 1. Oktober 2022 ist in Österreich ein neues Bilanzierungsmodell für den Gasmarkt in Kraft getreten. Es sorgt dafür, dass die Gasmengen, die in das Marktgebiet hinein- und hinausgehen, ausgeglichen sind. Ziel der Neuerung war es, das gesamte Marktgebiet integriert zu bilanzieren, also zwischen Fernleitung und Verteilergebiet nicht mehr zu trennen und generell den Prozess für Marktteilnehmende zu vereinfachen.


Am 1. Oktober wurde in Österreich ein neues Bilanzierungsmodell eingeführt. Warum war es notwendig, Neuerungen vorzunehmen?

Österreich als ein Land im Zentrum Europas steht bei internationalen Händler:innen hoch im Kurs. Streng nach dem Motto „Freie Fahrt durch Europa“ wird unser Marktmodell besonders kri-tisch hinterfragt. Letztlich war aus meiner Sicht im Wesentlichen ausschlaggebend, das bis dahin komplexe österreichische Gasmarktmodell im Bereich der Bilanzierung mit mehreren Ansprechpartner:innen durch Vereinfachungen für die Marktteilnehmenden noch stärker an die europäischen Vorgaben anzugleichen. Den Marktteilnehmenden soll es damit erleichtert werden, in den Markt einzusteigen und dadurch den Wettbewerb zu erhöhen.

Was sind die wesentlichen Änderungen im Vergleich zum alten Modell?

Augenscheinlich für Neueinsteigende im Markt ist, dass diese weniger Vertragspartner:innen bekommen und weniger Verträge abschließen müssen als bisher. Zum Beispiel fällt jetzt die verpflichtende Börseregistrierung weg. Und zum Schlagwort „Bilanzierung“, sprich wenn Marktteilnehmende für ihre Kund:innen einen anderen Erdgasbedarf nominieren und einspeisen als diese letztlich verbrauchen: Dafür sind die Berechnungsgrundlagen vereinfacht worden. Und weil das so einfach nach außen hin umgesetzt wurde, war es umso schwieriger, im Hintergrund ein möglichst gutes Regelungswerk aufzustellen, welches alle Rechtserfordernisse abdeckt.

Wer sind die wesentlichen Player?

Die eine große Anlaufstelle ist der Markt- und Verteilergebietsmanager, mit dessen Hilfe die Marktteilnehmenden durch das Marktgeflecht geführt werden. Im Hintergrund ist ein komplexes Vertragswerk aller Systemoperatoren einschließlich der Sonstigen Marktregeln in Geltung. Somit steht im Vorhinein unzweifelhaft fest, welche Rechte und Pflichten für welche Marktteilnehmenden gelten und einzuhalten sind, damit ein Rädchen scheinbar mühelos in das andere greifen kann. Diese weiteren „Rädchen“ sind alle Netzbetreiber und die Bilanzierungsstelle. Außer-dem würde das System in Summe nicht funktionieren, wenn man nicht Speicherbetreiber oder Ausgleichsenergieanbieter hätte.

Welche Rolle hatte Gas Connect Austria bei der Einführung des neuen Modells?

Wir sind einerseits als Fernleitungsnetzbetreiber und andererseits als Verteilernetzbetreiber gefordert und kooperieren in beiden Rollen eng mit dem Markt- und Verteilergebietsmanager. Ich denke, dass das Optimum an Synergien aus der zur Verfügung stehenden Infrastruktur im Zuge dieser Umstellung nur dann herausgeholt werden kann, je enger und besser diese Kooperation funktioniert.

Welche Aufgaben hatte GCA zu erledigen?

Im Vorfeld mussten die Rechtsgrundlagen entsprechend angepasst werden und jetzt geht es darum, alle Rechte und Pflichten in der Umsetzung auf ihre Praxistauglichkeit hin zu prüfen. Im Wesentlichen muss man versuchen, das „Gas-See-Modell“ so gut wie möglich laufen zu lassen – sprich: unter Außerachtlassung von zeitlichen Faktoren und wenn möglich auch von physischen Einschränkungen, die die Infrastruktur braucht, den Gas-See möglichst in Balance zu halten, obwohl an vielen Punkten reingeschüttet und rausgenommen wird.

Was waren die Herausforderungen bei der Implementierung?

Wie bei jeder Umstellung sind es letztlich zeitliche und IT-mäßige Aspekte, die die betroffenen Mitarbeiter:innen vor Herausforderungen stellen. Was am Papier sehr einfach klingt, ist in der Praxis meistens durch viele Details erschwert. Außerdem kam es durch die Ausschreibung der Bilanzierungsstelle, die bis jetzt rechtlich nicht abgeschlossen ist, zu wesentlichen und unvorhergesehenen Verzögerungen.

Hat die Einführung für alle Marktteilnehmenden reibungslos geklappt?

Nicht alle Marktteilnehmenden im Transitbereich schafften es zeitgerecht, sämtliche neuen Marktregeln zu erfüllen. Dadurch kam es für ein paar Tage zu einer Unterbrechung der Gaslieferungen nach Italien. Als Netzbetreiber haben wir jede Möglichkeit ausgeschöpft, eine rasche Lösung zu unterstützen. Als schließlich alle Voraussetzungen für eine marktregelkonforme Nominierung erfüllt waren, konnten und durften wir den Transport wieder aufnehmen.

Wie haben Sie den Marktstart am 1. Oktober erlebt?

Für mich persönlich war der Marktstart, übrigens ein Samstag, insofern unspektakulär, als meine Aufgaben darin bestehen, an der Ausgestaltung der Regelungen mitzuwirken. Diese Phase der Novellierung der Rechtsgrundlagen hat im Unterschied zu sonstigen Umstellungen bis kurz vor Inkraftsetzung gedauert, womit bis zuletzt Unsicherheiten bestanden. Die Wochen davor waren daher für alle Beteiligten extrem fordernd. Das Wochenende selbst klappte dank sehr guter Vorbereitung und enormen Einsatzes, mit wenigen Ausnahmen wie zuvor erwähnt, ausgezeichnet. Jetzt muss noch evaluiert werden, wo gegebenenfalls Nacharbeiten erforderlich sind. Auch die Marktteilnehmenden lernen jeden Tag dazu, welche Strategie sich wie auswirken könnte. Diese Lernphase wird bestimmt noch ein paar Monate benötigen und so lange wird unser GCA Team dafür weiterhin unermüdlich im Einsatz sein.

Hat sich das Marktmodell in der Praxis aus Ihrer Sicht bewährt?

Diese Beurteilung ist aus den angeführten Gründen jedenfalls zu früh. Aber was ich jetzt schon sagen kann, ist, dass die Einführung mit dem Einsatz aller Beteiligten nicht besser hätte laufen können.


Zur Person:

Name: Maria Schwarz
Position bei Gas Connect Austria: Senior Expert Market Model Design
Im Unternehmen seit: Juli 2011 in der Abteilung System Management; davor seit 2001 in der Rechtsabteilung der OMV Erdgas GmbH beziehungsweise bei AGGM Austrian Gas Grid Management AG